Die Bauherren Kirsten Braband und Martin Winter aus Bremen genießen von der Terrasse ihres Stelzenhauses in Rechtenfleth den Blick über die Landschaft. (Andrea Grotheer)
Rechtenfleth. „Ich habe schon mehrere Architektentage mitgemacht, aber hier möchte man einfach bleiben.“ Die Begeisterung bei den Besuchern war groß, als sie am Tag der Architektur einen Blick auf das Äußere und in das Innere eines neu entstandenen Stelzenhauses im Rechtenflether Deichvorland werfen konnten. Jedes Jahr lädt die Bundesarchitektenkammer als ein Zusammenschluss der 16 Länderarchitektenkammern in Deutschland zu diesem Aktionstag ein. Dieses Mal wurden bundesweit unter dem Motto „Räume prägen“ mehr als 1000 Objekte präsentiert, von denen viele sonst nicht für die Öffentlichkeit zugänglich sind. So auch das Stelzenhaus von Kirsten Braband und Martin Winter, das im vergangenen Jahr nach einem guten Jahr Bauzeit fertig gestellt wurde. Realisiert hat das Projekt das Architektenduo Kerstin Lüllmann und Eilert Wilcks.
„Mit einem Bebauungsplan aus den 70er-Jahren wurde es realisiert, dass hier Wochenendhäuser gebaut werden durften“, erzählte der Hamburger Architekt Wilcks, der die Führung der Besuchergruppen übernahm und selber ein Haus am benachbarten Sandstedter Strand besitzt. „Die Häuser genießen Bestandsschutz, stehen aber eigentlich nicht hoch genug und stellen im Grunde eine Gefahr für die Deichsicherheit dar“, erklärte er. Die Höhe des alten Hauses auf dem 3000 Quadratmeter großen Grundstück und die der Nachbarhäuser sei an den Wasserstand der 70er-Jahre angepasst, die Auflagen hätten sich mittlerweile verändert. „Wir mussten für den Neubau einen Bemessungswasserstand von 6,94 Meter über NN berücksichtigen, der in Norderney gemessen wird. Dazu kommt der Wellenschlag, der durch Wind erzeugt wird, und noch möglicher Eisgang“, erklärte er die einzuhaltenden Vorschriften, die zu einer Bauhöhe von etwa 5,20 Meter führten.
In dieser Höhe beginnt erst das Gebäude, das auf zwölf Betonpfeilern gegründet ist. Den Ursprungsbau aus Holz hatte die bekannte Bremer Architektengruppe Rosengart und Partner, die auch den Bremer Fallturm plante, vor fast 50 Jahren errichtet. Die Holzkonstruktion war durch ein Abbruchunternehmen von Hand abgetragen worden. „Das musste unter hohen Auflagen geschehen, damals wurde noch Asbest zum Bauen verwendet“, so Eilert Wilcks. Die neue Höhe wurde durch das Aufsetzen einer Stahlkonstruktion erreicht. „Wir wollten es möglichst leicht aussehen lassen“, so das Architektenduo. Der Aufgang aus Stahl bietet eine Besonderheit: Die Treppe erinnert an eine Gangway und kann schiffstypisch waagerecht hochgefahren werden. „Damit das Wasser nichts kaputt macht und das Haus nicht gekapert wird“, sagt der Architekt schmunzelnd. Gerade bei Sturmfluten kann das Gelände schon leicht mal unter Wasser stehen. Auf der Stahlkonstruktion befindet sich das Haus in einer Tafelbauweise aus Holz, verkleidet mit hellen HPL-Platten, die aus der Ferne Holz-Charakter haben. “Es wurden mehrere Fassadenvarianten entwickelt, auf jeden Fall sollte das Haus nicht gestrichen werden müssen“, erklärte der Architekt. Planmäßig habe das Haus gerade mal 36 Quadratmeter Wohnfläche. Durch ein Staffelgeschoss und geschickte Planung habe man es „aufpumpen“ und auf eine Fläche von 57 Quadratmetern erweitern können. „Wir haben alles ausgenutzt, was es auszunutzen gab“, sagt der Architekt, der sich nicht nur mit dem Landkreis Cuxhaven als für die Baugenehmigung und für die Deichsicherheit zuständige Behörde auseinander setzten musste, sondern auch mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt im Gespräch war, weil die Gesamtbauhöhe die Radarüberwachung für die Schifffahrt nicht beeinflussen darf.
Nun ist im Ferienhaus, das in einem voll erschlossenen Gebiet mit Kanalisation, Strom, Wasser, Telefon und Internetverbindung steht, alles vorhanden: ein offener Wohnbereich mit Küche und Theke, ein Schlafzimmer mit Weserblick, ein Duschbad und ein kleines WC sowie ein kleiner Technikraum. Beeindruckend ist der Blick auf die Weser von den Terrassen, die an den Wohn- und an den Schlafbereich grenzen. Kaum zu glauben, wenn Bauherrin Kirsten Braband von den Anfängen erzählt: „Das war hier eine Bruchbude, um die sich jahrelang niemand gekümmert hat.“ Der Wunsch nach einem Stelzenhaus kam der Bremerin durch eine Serie im Bezahlfernsehen: „Ich will auch so ein Haus“, habe sie ihrem Partner gesagt. Der Zufall kam ihr zu Hilfe. Martin Winter fand das schon seit längerer Zeit zum Verkauf stehende Stelzenhaus in Rechtenfleth mit direktem Strandzugang. „Ich bin gerne am Wasser, und hier hat man sofort das Gefühl von Urlaub“, schwärmt Kirsten Braband und man glaubt ihr bei dem traumhaften Ausblick und dem lauen Lüftchen an diesem vielleicht wärmsten Tag des Jahres sofort.
Ein Fotoalbum, in das die Besucher ebenfalls einen Blick werfen durfen, dokumentiert die Bauarbeiten, und Bilder von Sonnenuntergängen bestätigen das Urlaubsgefühl in der großzügigen Zweiraumwohnung, wie Architekt Eilert Wilcks das Haus beschreibt. Nur im Winter, bei schlechtem Wetter, wenn es draußen diesig ist und auch auf dem Campingplatz, auf den man vom Haus aus sehen kann, alles abgebaut ist, wird es melancholisch am Deich. Dann halte man es keine Woche dort aus, sagt Kirsten Braband und hat diese Erfahrung im vergangenen Jahr gemacht. Im Haus ist eine aufwändige Technik verbaut, die Heizung und Klimatisierung erfolgt über ein großes Stromaggregat, das ganze Grundstück ist kameraüberwacht. Auch über die Kosten gibt der Bauherr Auskunft. Rund 50 000 Euro habe er für die Ruine bezahlt. Etwa 300 000 Euro habe der Neubau gekostet, der eben kein Bau von der Stange sei und noch dazu viele Besonderheiten wie sehr dicke Balken oder Stahlseile zur Stabilisierung des Hauses beinhalte. „Man zahlt hier Liebhaberpreise, die nicht gerade gesunken sind, seit wir umgebaut haben“, meint Martin Winter. „Ein tolles Haus“, bekräftigt einer der Besucher. Und er muss es beurteilen können: Er ist selber Architekt.